Mit dem Wendenkreuzzug von 1147 war die adlige Familie Gans aus der Altmark in die Prignitz gekommen. Während Markgraf Albrecht der Bär die Hauptgebiete des neuen Landes eroberte, wurde die Prignitz vom Bischof von Havelberg und kleineren Territorialherren eingenommen. Dazu gehörten auch die Gans, die sich nach einer ihrer Burgen in der Prignitz Gans, Edle zu Putlitz nannten. Sie nahmen landesherrliche Rechte in Anspruch, leiteten das Besiedlungswerk, gründeten Burgen und die Städte Perleberg, Wittenberge und Pritzwalk. Als Abschluss ihres Landesausbaus stifteten sie 1231 das Zisterzienserinnenkloster Marienfließ. Mit der Übernahme der Mark Brandenburg durch die Kurfürsten aus dem Hause Hohenzollern schwand die Macht der Regionalherren, so auch der Gans zu Putlitz.
Die Prignitz als Randgebiet blieb in den Jahrhunderten nach dem Landesausbau weiter umkämpft. Deshalb verlief dieser hier weniger stringent als anderswo. Aus dem geringen Bestand an romanischen Bauten wird ersichtlich, dass es hier länger dauerte, bis die Herrschaftsverhältnisse soweit gefestigt waren, dass der Burgen- und Kirchenbau einsetzen konnte und Städte gegründet wurden. Die häufigen kriegerischen Auseinandersetzungen und viele Brände trugen dazu bei, dass hier nur zwei Relikte aus der Besiedlungszeit erhalten blieben: Teile der Stadtkirche von Pritzwalk und die Burgruine Putlitz.
Romanische Reste
1256 erhielt Pritzwalk von den Askaniern das Stadtrecht und gleichzeitig auch das Marktrecht nach dem Vorbild der altmärkischen Stadt Seehausen. Schon davor wurde mit dem Bau der Nikolaikirche begonnen, noch ganz in der Tradition der früheren Kirchenbauten. Wie üblich weist das Patrozinium des Hl. Nikolaus auf Kaufleute als Mehrzahl der Stadtbewohner, denn der Heilige war ihr Schutzpatron.
Die erhaltenen Feldsteinmauern der spätromanischen Basilika in sauber gequaderter, lagiger Ausführung aus der Zeit um 1250 und die Abmessungen der einzelnen Bauteile lassen darauf schließen, dass man hinter dem mächtigen Westriegel mit dreifach gestuftem spitzbogigem Portal und ungewöhnlich großem Okulus (sowie zwei kleinen, jetzt zugesetzten rundbogigen Fenstern) zunächst einen – vielleicht etwas eingezogenen – kreuzförmigen Saalbau mit Querschiff, Chor und Apsis errichtete. Dieser Typus der einschiffigen romanischen Stadtkirche ist uns in Belzig, Wiesenburg, Ziesar und Wusterwitz bereits begegnet.
Aber schon kurz darauf entschloss man sich zur Erweiterung des Baus zu einer dreischiffigen Basilika, was daran erkennbar ist, dass die im späteren Neubau erhalten gebliebenen Feldsteinmauern der Seitenschiffe jetzt über die Maße des Westriegels herauskragen und das romanische Querschiff durch die Erweiterung nur noch wenig aus dem Baukörper hervortritt. Die (jetzt verlorenen) Ostteile blieben sicherlich einschiffig, wie auch in Jüterbog, Treuenbrietzen, Lehnin und Zinna.
Gotik
Auf diesen zweiten Bauzustand folgt – nun zur Zeit der Gotik – ein wesentlich gravierenderer Umbau: Wahrscheinlich nach einem Brand, der das romanische Mauerwerk erheblich beschädigte, wurde das Gebäude zur Hallenkirche mit drei einheitlich hohen Schiffen umgestaltet. Die alten Fenster und Türen vermauerte man (bis auf den Westeingang) und fügte neue, gotische ein. Wo immer möglich, wurden altes Mauerwerk wieder verwendet, so stehen die sehr hohen, neuen Backsteinwände auf den alten Feldsteinmauern, auch alte Feldsteine wurden wieder verwendet. Das lässt sich durch fehlende Mittel für einen Neubau aus einem Guss erklären. Der romanische Chor und die Apsis mussten jedoch völlig abgerissen und neu errichtet werden, da ihre Ausmaße mit dem stark vergrößerten Bau nicht mehr korrespondierten.
St. Nikolai heute
Nach zahlreichen weiteren Bränden und Zerstörungen, von denen die Stadtchronik berichtet, wurde auch dieser dritte Bau in den folgenden Jahrhunderten noch erheblich verändert, z. B. durch die Hinzufügung einer großen gotischen Kapelle auf der Südseite. Nach dem letzten Großbrand von 1821 sorgte der Schinkel-Schüler Friedrich Adler durch das Aufsetzen der monumentalen neugotischen Turmspitze für das heutige Erscheinungsbild. Es ist außerordentlich reizvoll, aus dem so verschiedenartigen Mauerwerk der Kirche ihre Baugeschichte herauszulesen! Unterschiedliche Qualitäten der Feldsteinquader, mittelalterliche Backsteine im Klosterformat, neuzeitliche Ziegel und die vielen Reparaturspuren erzählen vom wechselvollen Geschick des Gebäudes.
Die Pfarrkirche St. Nikolai, wie sie heute vor uns steht, ist eine spätgotische Hallenkirche mit drei gleich hohen Schiffen, polygonalem Umgangschor im Osten und einem neugotischen Turm im Westen. An der südlichen Langhausseite befindet sich eine zweigeschossige Kapelle (Taufkapelle im unteren Geschoss) aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts. Im Innern tragen Rundpfeiler die Sterngewölbe des Langhauses. Chor und Seitenschiffe sind überspannt von gerundeten Kreuzrippengewölben. Der wertvolle spätgotische St. Annen-Flügelaltar von 1520 kommt aus der ehemaligen Wallfahrtskirche im 5 km östlich von Pritzwalk gelegenen Alt-Krüssow. Die sonstige Innenausstattung der Kirche stammt aus neugotischer Zeit (um 1882).
Stadt Pritzwalk
Pritzwalk hat sich nach der Wende von 1989 zu einem ansehnlichen Städtchen gemausert. Neben den historischen Relikten der Nikolaikirche existiert als Rest der mittelalterlichen Befestigung noch ein Stück Feldsteinmauer mit einem so genannten Wiek, einem zur Stadtseite offenen Verteidigungsturm. Schön restaurierte Häuschen aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem letzten Stadtbrand und baumbestandene, verkehrsberuhigte Straßen machen heute seinen Reiz aus. Auf dem Friedhof befindet sich das Mausoleum von Emil Quandt, dem Pritzwalker Tuchfabrikanten, dessen Nachfahren zu einer der heute reichsten Familien Deutschlands aufstiegen (u. a. als Anteilseigner von BMW). In der NS-Zeit spielten Günther und Herbert Quandt wegen ihrer Kontakte zur Nazi-Elite eine höchst unrühmliche Rolle (Herberts Ex-Frau Magda heiratete z. B. Joseph Goebbels) und alle Quandt-Unternehmen waren in Zwangsarbeit und Genozid verstrickt. Jedoch wurde kein Familienmitglied je dafür zur Rechenschaft gezogen.