Auf der Fahrt nach Sandau, weiter in Richtung Norden, ist der mächtige Westriegel (von 37 m Höhe und 18 m Breite) seiner Kirche St. Laurentius und St. Nikolaus schon von Weitem zu sehen. Wenn man direkt davor steht, erkennt man, dass er zum größten Teil ein Neubau ist, nur die geschwärzten Mauern kennzeichnen die wenigen erhalten gebliebenen Partien.
Vom April 1945 bis 2013 war genau dieser – damals völlig zerschossene – Kirchturm das „Wahrzeichen“ von Sandau. In den letzten Kriegstagen 1945 hatte der Nazi-Stadtkommandant die Übergabe der Stadt an die Amerikaner abgelehnt und bereits gehisste weiße Fahnen in der Stadt unter Androhung der Todesstrafe wieder einholen lassen. Als obendrein die im Sandauer Wald verschanzte Waffen-SS einen amerikanischen Parlamentär tötete, eröffneten die Amerikaner vom anderen Elbufer aus gezieltes Artilleriefeuer auf Kirche und Stadt. Nach einwöchigem Beschuss lag Sandau in Schutt und Asche, noch am 17. April fielen sechs Zivilisten, die mit vorgehaltener Pistole zum sinnlosen Löschen gezwungen wurden, durch einen Volltreffer auf ihre Motorspritze.
Wiederaufbau
Die Amerikaner zogen nach dieser Aktion am 18.04.1945 ab und überließen vereinbarungsgemäß den Russen das Gebiet östlich der Elbe, auf deren Besatzungsgebiet 1949 die DDR gegründet und dadurch die deutsche Teilung besiegelt wurde. Da der kommunistische Vasallenstaat mit Kirche grundsätzlich wenig im Sinn hatte, ist es schon erstaunlich, dass die Sandauer Stadtkirche bereits in den 50er Jahren wieder benutzbar war. Für den Wiederaufbau des Turms war jedoch kein Geld vorhanden, so dass die Ruine für 68 Jahre das Kennzeichen einer arg gebeutelten Stadt blieb.
Erst nach der Wende bekam die Sandauer Kirche endlich wieder die ihr gebührende Wertschätzung und es wurden Möglichkeiten gesucht, den Turm zu restaurieren. Fördermittel hätte es nur für eine moderne Wiederaufbaulösung gegeben, deshalb beschloss die Gemeinde, für ein „vertikales Gemeindezentrum“ Spenden einzuwerben und die stilgerechte Wiedererrichtung selbst zu stemmen. 2013 war es geschafft, der Turmzugang erfolgt jetzt wieder durch das rekonstruierte Westportal.
Drinnen gibt es nun Fahrstuhl, Sanitäranlagen, Küche, Winterkirche, einen Ausstellungsraum und ein Aussichtsgeschoss in der Glockenstube. Aus den wieder hergestellten romanischen Fenstern hat man einen unglaublichen Blick auf das Havelland im Osten, den Dom von Haveberg im Norden und auf die Elbe im Westen. Auf dem Dach befindet sich das höchstgelegene Storchennest in Sachsen-Anhalt.
Rundgang
Der Rundgang um das Gebäude offenbart die Verwandtschaft zu Schönhausen, vom über die Breite der Seitenschiffe überkragenden Westriegel über das basilikale Langhaus mit den Seitenschiffen zu dem Punkt, wo der einschiffige, durch Lisenen gegliederte Chor – ohne Querhaus – direkt an das Schiff anschließt und schließlich zur Apsis, die durch halbrunde Lisenen strukturiert ist. Alle waagerechten Wandabschlüsse sind mit üppigen Schmuckfriesen (Kreuzbogen und Deutsches Band) geziert.
Am Übergang zwischen Chor und Schiff gewahrt man eine reizvolle Unregelmäßigkeit: Die Schmuckfriese von Chor und Schiff überlappen sich in unterschiedlicher Höhe. Das mag daran liegen, dass die östliche (gerade) Abschlussmauer der Seitenschiffe sehr dick ist, weil sie die Apsisrundung enthält.
Da der Chor früher als die Schiffe gebaut wurde, hatte man ihn schon um einiges zu weit nach Westen vorangetrieben, ehe man das Dilemma bemerkte. Es erfolgte eine Planänderung, indem man den Chor verkürzte und das Schiff weiter nach Osten ausdehnte, die Schmuckbänder aber an ihrem Platz beließ. Eine Besonderheit gegenüber Schönhausen ist die bauzeitliche Sakristei auf der Südseite mit ihren schönen romanischen Blendfenstern.
Auch die Malereien außen im Gewände der Obergadenfenster sind singulär.
Innenraum
Mit ihren fast 50 Meter Länge ist die Kirche in Sandau noch größer als die in Schönhausen, ihr schöner Innenraum zeigt sich von ergreifend monumentaler Schlichtheit. Das liegt allerdings auch daran, dass der erste preußische Staatskonservator Ferdinand von Quast im 19. Jh. die barocken Einbauten entfernte und später veränderte Fenster re-romanisierte. Jetzt präsentiert sich das Innere stilrein mit flachen Decken in den Schiffen, Gewölben im Chor und Apsis und den aus dem Mauerwerk ausgesparten flachen Apsiden der Seitenschiffe.
Die Reihung der quadratischen Pfeiler des Mittelschiffs erfährt auf der Höhe des Seitenportals eine reizvolle Unterbrechung durch zwei gemauerte Rundsäulen, ein Motiv, das auch in Jerichow und in Schönhausen vorkommt.
Einziges altes Ausstattungsstück im Innern ist der spätromanische Taufstein, der aber aus einer anderen Kirche hierher verbracht wurde.