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Berlins Dörfer
Nur wenige wissen, dass sich in der relativ “jungen” Großstadt Berlin auch 800 Jahre alte spätromanische Gebäude befinden. Als man 1920 durch großzügige Eingemeindung aller im Umkreis befindlichen Städte Groß-Berlin bildete, gehörten zu diesem Konstrukt nun auch 59 ehemalige Landgemeinden, von denen fast jede ihre eigene Dorfkirche besaß. Im Stil differieren diese von der Spätromanik über Gotik und Barock bis zur Gründerzeit und Moderne. Zusammen mit der ältesten Pfarrkirche Berlins, St. Nikolai, sind uns trotz aller Zerstörungen im Laufe der Jahrhunderte zehn kostbare spätromanische Exemplare erhalten geblieben: Im Süden Berlins Lankwitz, Tempelhof, Mariendorf, Marienfelde und Buckow sowie Rosenthal, Blankenburg, Hohenschönhausen und Karow im Norden. Von der einfachen Saalkirche bis zur vierteiligen Anlage zeigen sie fast alle Varianten des Dorfkirchenbaus. (Ein lesenswerter und fundierter Artikel zu den Berliner Dorfkirchen findet sich auf wikipedia.de. Sein Hauptautor Ulrich Waack († 2017) war ein ausgewiesener Experte der Materie unserer Publikation).
Zwei Verbreitungsgebiete
Geographisch und historisch gesehen zerfällt der Bestand romanischer Bauten im Großraum Berlin in zwei Gruppen, die südlich und nördlich der Spree liegen. Das Berliner Urstromtal (in dem jetzt die Spree fließt) ist von zwei Hochflächen gesäumt, dem Teltow im Süden und dem Barnim im Norden. (Zur „Hochfläche“ wird ein Stück Land im flachen Brandenburg bereits, wenn es sich nur wenige Meter über dem Urstromtal erhebt.) Die Besiedlung des Berliner Raums erfolgte – etwas später als im Süden oder Westen – in zwei Etappen, zunächst auf dem Teltow und dann erst auf dem Barnim, da sich Albrecht der Bär bei seinem Vordringen ins ostelbische Land auf die Mittelmark und besonders die Burg von Brandenburg konzentrierte.
Somit stellte die Spree eine erste, natürliche Grenze seines Herrschaftsgebiets dar. Erst nach dem Teltow-Krieg, als es seinen Enkeln gelungen war, die konkurrierenden Magdeburger und Wettiner zurückzudrängen, konnte das brandenburgische Territorium nach Osten und Norden „abgerundet“ werden . Die folgende Karte zeigt die signifikante Verteilung der erhaltenen mittelalterlichen (auch gotischen) Dorfkirchen Berlins auf die Hochflächen des Teltow (Südwest) und Barnim (Nordost):
Die südlichen spätromanischen Berliner Dorfkirchen
Das bedeutendste Exemplar der Berliner Dorfkirchen steht in Marienfelde und wird von uns (zusammen mit der Berliner Nikolaikirche) am Anfang der Südwest-Route ausführlich behandelt. Zusammen mit Mariendorf gehörte es in der Zeit des mittelalterlichen Landesausbaus zur von Tempelrittern gegründeten Kommende Tempelhof, die nach dem Untergang dieses Ordens an die Johanniter fiel. Mehr über die Geschichte der Templer in Brandenburg finden Sie unter Exkursionen: “Im Land der Templer…”.
Dorfkirche Tempelhof

Namensgebung
Nur noch der Name Tempelhof erinnert an die Kommende des Tempelritterordens, die sich an dieser Stelle in Alt-Tempelhof befunden haben muss – als Burg, Konvent und dörfliche Ansiedlung in einem. Die Topographie der heutigen Dorfkirche (ein von Gewässern umgebener, quasi abgeschlossener Ort) und der trotz diverser Umbauten und Kriegszerstörungen immer noch malerische Feldsteinbau lassen ein wenig davon erahnen. Die Anwesenheit der Tempelritter in dem zwischen mehreren Parteien heiß umkämpften Gebiet auf dem Teltow dürfte auf die Tatsache zurückgehen, dass der askanische Landesherr den kämpferischen Orden für besonders geeignet ansah, seine Ansprüche hier durchzusetzen.

Die Dorfkirche
Die jetzige Dorfkirche Tempelhof zeigt in ihren erhaltenen Teilen Stilmerkmale der Spätromanik nach 1250 und kann deshalb nicht die Kirche der Templer-Kommende sein, die ja schon zu Beginn der Ostbesiedelung gegründet wurde. Der zweiteilige Bau aus Schiff und Apsis erfuhr nach dem Mittelalter die üblichen Umbaumaßnahmen wie Vergrößerung der Fenster, Einbruch eines neuen Portals und neue Möblierung des Inneren. Das heute hier zu sehende Bauwerk ist ein signifikantes Beispiel für den von je her nachlässigen Umgang mit den ältesten Zeugnissen der Kultur und Geschichte unseres Landes. Hier in Tempelhof erfolgte er durch eine besonders gravierende Maßnahme von 1848, als ein Köpenicker Maurermeister die Kirche „grässlich entstellte“, wie Kurt Pomplun (der beste Kenner von Berlins Dorfkirchen) lapidar bemerkt.
Umbau 1848
Hinterließen die Umbauten im Barock wenigstens Spuren im Mauerwerk, aus denen man die Geschichte des Bauwerks noch ablesen kann, ging es diesem „Meister“ darum, die Spuren seiner brachialen Umbauten möglichst zu verwischen. Er ersetzte die kleinen romanischen Fenster durch unverhältnismäßig große und beseitigte damit bedeutende Teile des originalen Mauerwerks. Die neuen Fenster und das veränderte Quaderwerk imitieren den romanischen Stil, so dass es schwer fällt, zwischen alt und neu zu unterscheiden. Am Zwiespältigsten sind die auf Portalniveau liegenden, beiden westlichen Spitzbogenfenster, die ebenfalls jenem Umbau entstammen. Sie wirken an dieser Stelle als Fremdkörper und machen keinerlei Sinn, erscheinen aber durch ihre „romanische“ Quaderung als original. Beim Wiederaufbau 1956 hat man sie zugesetzt.






Der Westgiebel wurde (in Feldsteinquadern) neu aufgemauert und erhielt einen dreiseitig verbretterten Dachreiter im Stil von Dangelsdorf. Im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieg ging die Dorfkirche bis auf die schwer beschädigten Außenmauern unter.

Aus dem Gemeindearchiv, aufgenommen von einer öffentlich zugänglichen Schautafel.
Wiederaufbau
Archäologische Ausgrabungen während des Wiederaufbaus brachten die Grundmauern eines gleich großen, aber anders aufgeteilten Vorgängerbaus von ca. 1200 zutage, offenbar die originale Templerkirche. Sie war dreiteilig, bestehend aus Westriegel, Schiff und Apsis, aber Hinweise auf den Grund und den Grad ihrer Zerstörung konnte man nicht finden. (Von 1239 bis 1245 wurde allerdings in der Region der Teltow-Krieg ausgetragen – vielleicht geht die Zerstörung des Templerbaus auf ihn zurück. Auch der Neubau der Dorfkirche um 1250 würde zu diesem Datum passen).
Die ungewöhnliche Größe der nunmehr zweiteiligen Anlage (Schiff mit Apsis) erklärt sich aus der Zusammenfassung von Turm und Schiff beim Neubau zu einem einzigen Baukörper. Als man die zerstörte Dorfkirche nach dem Zweiten Weltkrieg wieder errichtete, bemühte man sich auch um den Rückbau eines Teils der Verschandelungen des 19. Jh., wobei aber erneut nicht kenntlich gemacht wurde, was Originalbestand ist und was hinzugefügt wurde. So ergänzte man die beiden spitzbogigen Gemeindeportale im Norden und Süden um einen inneren Bogen und zerstörte dabei gleichzeitig die mittelalterlichen Riegellöcher für den „Wehrbalken“. Heute ist die Tempelhofer Dorfkirche mit ihrem bunten Feldsteinmauerwerk und dem Dachreiter aus Fachwerk zum größten Teil nur noch die Anmutung eines mittelalterlichen Bauwerks und lediglich zum kleineren Teil ein originales Zeugnis märkischer Geschichte.
Ihr Mauerwerk weist eine exakte Quaderung und lagige Anordnung der Steine auf, unter dem Vorbehalt, ob das der Originalzustand ist. Als alt gelten jedenfalls die beiden spitzbogigen Gemeindeportale (bzw. ihr äußerer Bogen) und das hohe, schmale Rundbogenfenster in der Mitte der Apsis, die auch hilfreich für die Datierung um 1250 sind. Der Dachreiter aus Fachwerk ist dagegen eine freie Erfindung, ohne Bezug zu einem früheren Bauzustand.


Dorfkirche Mariendorf


Vierteilige Anlage
Die Dorfkirche Mariendorf, eine Filiale der Komturei Tempelhof, ist eine sehr schöne vierteilige Anlage mit (allerdings unvollendetem) Querturm, Schiff, Chor und Apsis. Eine eigenständige Templer-Architektur hat es in Brandenburg nicht gegeben und so folgt auch Mariendorf dem gewohnten Bauschema des ostelbischen Landesausbaus. Die Kirche lässt sich ausweislich der regelmäßigen Quaderung der Feldsteine und der ursprünglich original rundbogigen Fenster auf die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datieren.


Das Gemeindeportal auf der Nordseite war, wie die Fenster, rundbogig, aber neoromanische Überformungen verunklären teilweise das heutige Erscheinungsbild, so dass man über den Originalzustand nicht sicher ist. Das Gebäude steht in der Mitte des wohl um 1230 angelegten Straßendorfs auf der Westseite des Mariendorfer Damms, der ehemaligen Straße nach Berlin. Höchst wahrscheinlich (und wie im benachbarten Marienfelde sogar archäologisch nachgewiesen) ersetzte der Feldsteinbau einen nur kurze Zeit genutzten hölzernen Vorgänger. Aus dessen Zeit stammende Gräber fand man 1952 bei Renovierungsarbeiten.

Neuzeitliche Veränderungen
Am Ende des 16. Jh. setzte man auf den Sockel des unvollendeten Westriegels einen quadratischen hölzernen Turmaufbau, der 1737 einen barocken Kupferhelm mit Wetterfahne erhielt. Das Innere wurde eingewölbt, wobei drei Säulen in das Schiff eingestellt wurden, die bis heute die Sicht in die Apsis verstellen. Bis zum 2. Weltkrieg stand hier ein 1626 vom Rat der Stadt Cölln gestifteter wertvoller Schnitzaltar, der fast die gesamte Apsis ausfüllte. Während des Krieges ausgelagert, ist er seitdem verschollen. Die Kirchenglocke von 1480 ist eine der ältesten Berlins. Wegen ihres historischen Wertes entging sie der Einschmelzung und überstand unbeschadet zwei Weltkriege.
Dorfkirche Lankwitz

Urkunde von 1239
Der Name des Angerdorfs Lankwitz (alt-slawisch lankowice für „Ort an der Uferaue“) taucht erstmals in einer Urkunde aus dem Jahre 1239 auf, in der die brandenburger Markgrafen den Ort als Pfründe an den gerade gegründeten Nonnenkonvent von Spandau übergaben. Das ist nach der erstmaligen Nennung von Cölln im Jahre 1237 somit die zweitälteste urkundliche Erwähnung im heutigen Stadtgebiet von Berlin. Die Siedlung (vielleicht ausgestattet mit einer Holzkirche) muss zu diesem Zeitpunkt aber bereits existiert haben, sonst hätte ihre Bestimmung als Einnahmequelle für das Spandauer Kloster keinen Sinn gemacht.

Dreiteilige Anlage
Es ist durchaus denkbar, dass der reich ausgestattete Konvent in Spandau für den qualitätvollen Bau der Lankwitzer Kirche verantwortlich war. Die dreiteilige Anlage aus Feldsteinquadern mit Schiff, Chor und Apsis ist äußerst sorgfältig aufgeführt. Der ungewöhnlich lange Chor (fast so lang wie das Schiff!) ließe sich dadurch erklären, dass er bei wichtigen religiösen Anlässen als Nonnenchor genutzt wurde. An der Westseite hat sich das originale Rundbogenportal erhalten, während auf der Südseite Gemeinde- und Priesterpforte (ebenfalls rundbogig) vermauert wurden.


Die in der Barockzeit eingebrochenen großen rundbogigen Fenster haben fast alle alten verdrängt, nur in der Südwand des Chors ist noch ein originales Fenster erhalten. Es wurde nicht vollständig zugesetzt, sondern nur von innen verputzt. Bei einer Neugestaltung des Innenraums öffnete man 1938 die beiden seitlichen vermauerten schmalen Rundbogenfenster der Apsis und beließ nur das mittlere geschlossen.




Aus den Portal- sowie Fensterbögen und dem sorgfältigen, lagigen Quaderwerk können wir auf ein Baudatum gleich nach der Übernahme durch die Spandauer Nonnen schließen. Die unterschiedlich verlaufenden Lagen im Chor und Schiff deuten auf eine Bauunterbrechung nach Fertigstellung des Chors hin.




Umbau und Wiederaufbau
Ein umfangreicher Umbau erfolgte 1757 mit Einbruch der großen Fenster, Abriss des Triumphbogens, neuem Gestühl und Errichtung des Dachreiters. Dies alles ging in der Lankwitzer Bombennacht vom 23. / 24. August 1943 zugrunde, erst 1956 waren die Schäden behoben. Erstaunlich aber, dass das mittelalterliche Mauerwerk selbst der modernen Kriegstechnik widerstand. Man kann den spätromanischen Feldsteinkirchen der Region mit Fug und Recht das Prädikat „gebaut für die Ewigkeit“ zusprechen.
Innenraum
Das heutige Innere der Kirche ist schlicht und modern, von der ursprünglichen Inneneinrichtung ist nichts erhalten geblieben. Der barocke Kanzelaltar wurde schon 1938 entfernt. Das Altarbild von 1550 ist eine Leihgabe der Berliner Marienkirche, ein Epitaph für den 1540 verstorbenen Berliner Bürgermeister Joachim Ryke mit einer Kreuzigungsszene. An mittelalterlichem Inventar gibt es noch einen Kelch von 1589 und eine messinggetriebene Taufschale aus der Zeit um 1500.



Dorfkirche Buckow

Zweiteilige Anlage
Noch heute steht die wunderbare spätromanisch-frühgotische Dorfkirche in ihrem ursprünglichen Ambiente auf dem Dorfanger von Buckow, neben dem Dorfteich. Sie ist eine zweiteilige Anlage mit trutzigem Westquerriegel und gerade geschlossenem Schiff. Ausweislich der durchgängigen Verwendung von spitzbogigen Öffnungen müsste sie in die dritte Phase des Dorfkirchenbaus (1260 – 1300) datiert werden. Ihr Feldsteinmauerwerk entspricht dem jedoch nicht, denn obwohl in dieser Phase die Qualität der Quaderung abnimmt, sind hier die Steine gut geglättet und die Gebäudekanten scharf gezogen.

Sämtliche original erhaltenen (vermauerten) Fenster waren spitzbogig ausgeführt, auch die in der Ostwand erhaltene Dreifenstergruppe, mit Ausnahme des später veränderten mittleren.





Das original erhaltene spitzbogige Westportal wurde später vermauert. Bei seiner erneuten Öffnung fand man den originalen „Wehrbalken“ noch im Mauerwerk steckend. Eine dendrochronologische Untersuchung datierte ihn auf ca. 1290.


Neuzeitliche Veränderungen
Im 16. Jh. erfolgten spätgotische Umbauten, bei denen das südliche Spitzbogenportal entstand. Das Kirchenschiff erhielt Gewölbe, die auf drei Säulen ruhen und deren Gewölbefelder spätgotisch ausgemalt wurden. 1912 legte man erste Malereien frei, die Christi Geburt, Passionsszenen, Auferstehung und Himmelfahrt darstellen. Bei der Beseitigung der im 2. Weltkrieg entstandenen Bombenschäden deckte man sie 1950 komplett auf, doch leider konnten sie nicht konserviert werden und sind teilweise bis zur Unkenntlichkeit verblasst. 1964 öffnete man den Spitzbogen zwischen dem Kirchenschiff und dem Turmraum wieder. Wie üblich brach man in der Barockzeit größere Fenster in die Feldsteinwände, um mehr Licht einzulassen.


Ausstattung
Die Kirche besitzt einige bedeutende Kunstwerke: Bildnisse des Buckower Bürgermeisters und Kirchenpatrons Andreas Lindholz († 1655) und seiner Gemahlin, zwei Altarflügel mit Apostelfiguren und Heiligen aus dem Franziskanerkloster in Berlin und eine aus Holz geschnitzte spätgotische Madonna.
Das Epitaph Graf Johanns von Hohenlohe
Von besonderem Interesse ist das ebenfalls aus der Klosterkirche stammende Epitaph Graf Johanns von Hohenlohe. Der 1412 in der Schlacht am Kremmer Damm gefallene Ritter aus dem fränkischen Gefolge von Markgraf Friedrich, dem ersten Hohenzollernherrscher Brandenburgs, wurde von Theodor Fontane in seinem Werk „5 Schlösser“ ausgiebig gewürdigt. Nachdem Friedrich erster brandenburgischer Kurfürst geworden war, gab er das Epitaph für den geschätzten Ritter höchstwahrscheinlich in Süddeutschland in Auftrag, denn in Berlin dürften sich zu dieser Zeit noch keine Maler von solcher Qualität befunden haben.

Von Doc Taxon, derivative work Lämpel – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0
Das Bild zeigt Johann von Hohenlohe im Prachtgewand unter dem schwarz-roten Hohenzollernadler vor Christus kniend, aus dessen 5 Wundmalen Blut in den Abendmahlskelch fließt. An weiteren Kunstwerken finden wir noch eine Wappentafel des 1627 verstorbenen kurfürstlichen Vizekanzlers Arnold de Reygeran einem Pfeiler der Turmhalle und die Glocken. Von den vier heute im Turm hängenden sind zwei sehr alt. Die um 1250 gegossene älteste Glocke Berlins darf heute nur noch von Hand geläutet werden und dient als Vaterunserglocke, die andere ist nur unwesentlich jünger und auf das Jahr 1320 datiert.