
Unweit der Stadtgrenze Berlins, südwestlich von Zehlendorf, befindet sich in Stahnsdorf eine der sehenswertesten märkischen Dorfkirchen. Der Ort wird als „Stanesdorp“ 1264 erstmals erwähnt, ist aber ausweislich der hier stehenden spätromanischen Kirche mindestens 30 Jahre älter. Die Ersterwähnung eines Ortes ist leider nur ein sehr unvollkommenes Hilfsmittel zur exakten Datierung. Der Ortsname könnte sich – wie bei vielen anderen Dörfern aus dieser Zeit – auf den Namen des Dorfgründers beziehen, evtl. war dieser sogar ein Wende, wie der Name und die Tatsache vermuten lassen, dass es ursprünglich ein wendisches und ein germanisches Stahnsdorf gab, bis ersteres schließlich aufgegeben wurde. In vielen Dörfern lebten jedoch einheimische Slawen und zugewanderte Siedler zusammen. Aufgrund ihrer baulichen Merkmale, nämlich der gleichzeitigen Verwendung von runden und spitzen Bögen sowie der akkuraten Quaderung des Mauerwerks kann man die Kirche ins erste Drittel des 13. Jahrhunderts datieren, wie auch die Klosterkirche des nahe gelegenen Zinna.
Inhalt
Rundgang um die Kirche
Eine Kirchhofsmauer aus Feldstein umschließt Kirche und Friedhof, die am Rande des sehr großen, noch von alten Bauerngehöften gesäumten Dorfangers stehen. Hier bekommen wir einen guten Eindruck von der Anlage eines Dorfes zur Gründungszeit der Mark Brandenburg. An der Kirche fallen als erstes die außergewöhnlich sauber behauenen Feldsteine und die akkuraten Kanten des Gebäudes ins Auge.

Beim Umschreiten stellt man fest, dass es sich hier um eine dreiteilige Anlage handelt: Schiff, eingezogener Chor und Apsis. Ein West-Querriegel als Turm wurde nicht ausgeführt und aller Wahrscheinlichkeit auch nicht geplant. Dies kann man aus der öffnungslosen Westseite schließen, die die gleiche Mauerstärke wie die Wände des Schiffes hat. Eine Turmwand im Westen müsste schon wegen der größeren Höhe deutlich dicker sein. Der Dachreiter aus Fachwerk, der auf der Westseite des Schiffs auf dem Satteldach aufsitzt, ist erkennbar späteren Datums und der obere Teil des Giebels weist, wie auch die Ostteile, Spuren starker Zerstörung und nachlässigen Wiederaufbaus auf.

Auffällig ist der sehr starke Rücksprung des Chors gegenüber dem Schiff mit nur 60% der Schiffsbreite. Das Einrücken der Apsis gegenüber dem Chor steht dagegen im gleichen Verhältnis wie bei anderen spätromanischen Dorfkirchen.

Die Fenster sind zum Teil original erhalten, allerdings mit veränderter Gewändeschräge und teilweise auch vermauert, aber dennoch gut zu erkennen. Aus dem Befund kann man schließen, dass das Schiff fünf und der Chor zwei rundbogige Fenster auf jeder Seite hatte. Das westlichste Fenster der Nordseite ist überraschender Weise ein Okulus, ob es auf der Südseite eine Entsprechung gab, ist durch die in Ziegelstein erneuerten Fenstergewände nicht mehr zu erkennen.


Die Apsis hat die üblichen drei Fenster, die aber nachträglich vergrößert wurden indem man die Schräge des Gewändes zugunsten einer Laibung beseitigte und dadurch im Innern eine gleich große Öffnung wie außen gewann. Die Laibung wurde verputzt und außen wurden Fensterumrahmungen aus Putz (so genannte Faschen) aufgemauert. Der Chorgiebel über der Apsis ist aus verputztem Ziegelmauerwerk und zeugt dadurch von einer nachträglichen Wiedererrichtung. Gestörtes Feldsteinmauerwerk in der Spitze des anderen Giebels sowie Reparaturspuren an der Dachtraufe lassen an eine schwere Beschädigung, vielleicht sogar einen Einsturz von Chorgiebel und Dach infolge eines Brandes denken, wahrscheinlich im 30jährigen Krieg. In den Spitzen der Giebel befindet sich jeweils ein kreuzförmiges Fensterchen, von denen ganz offensichtlich nur das im Schiff original ist. Drei Portale erschlossen den Bau: Für die Gemeinde ein gedrückt-spitzbogiges Portal im Norden und ein rundbogiges im Süden des Schiffs, die beide eine bemerkenswert symmetrische Anordnung der Pfosten und Bogensteine sowie einen zusätzlichen Begleitbogen aufweisen. Eine rundbogige Priesterpforte sowie ein zugesetztes Chorfenster werden jetzt vom nachträglichen Sakristei-Anbau verdeckt. In diesem schmucklosen Bau aus dem 19. Jh. ist eine barocke Tafel von 1699 eingemauert, die sich vorher sicherlich im Kircheninnern befand. Ihre Inschrift lautet: „Memento Mori Herr Ernst Ludewich von Hake Churfürstl. Brandenb. Oberster bey dero Guarde zu Fuße, hatt diese Kirche welche sehr Zerfalle gewese ganz neue Reparie lasse a 1696.“ Es könnte gut möglich sein, dass sie sich auf die Beseitigung der Schäden des 30jährigen Krieges bezieht.


Inneres
Das flach gedeckte, verputzte Innere enthält wertvolle Kunstwerke. Es wirkt eindrucksvoll durch das im Vergleich zum Chor recht große Schiff. Der rundbogige Triumphbogen trennt es deutlich vom Chor ab, er ist aber durch den Altar mit dem spätgotischen (böhmischen?) Retabel von 1430 fast vollständig ausgefüllt, wodurch die dahinterliegende Apsis eigentlich keine Funktion mehr hat. Auf dem Mittelteil des Klappaltars befindet sich die Schnitzfigur der Maria mit dem Jesuskind, gerahmt von einem heiligen Bischof sowie der hl. Katharina, während auf den Seitenflügeln links die hl. Dorothea und rechts die hl. Barbara zu sehen sind. Dorothea, Katharina und Barbara sind ob ihrer Attribute (Korb, Rad und Turm) eindeutig zu identifizieren, während das bei der Bischofsfigur mangels Attributen schwierig ist. Die drei Frauen zählen zu den populärsten weiblichen Heiligen, den virgines capitales, wen aber stellt die Figur des Bischofs dar? Diese Frage brachte den Historiker Karl Heinz Schäfer in den 30er Jahren zu einer interessanten Hypothese über das Patrozinium der Stahnsdorfer Dorfkirche. Plausibel – aber leider nicht beweisbar – führt er aus, dass hier der als Kirchenpatron bisher unbekannte hl. Stanislaus, Bischof von Krakau, dargestellt sein könnte. Stahnsdorf war im Mittelalter ein deutsch-wendischer Doppelort und dieser Heilige bei den Slawen sehr beliebt und somit wäre ein Zusammenhang zwischen dem vermutlich slawischen Ortsgründer und einem slawischen Heiligen durchaus denkbar. Die rundbogige Nische in der Nordseite des Chors ist sicher die ursprüngliche Sakramentsnische. In ihr bewahrte man im Mittelalter die geweihten Hostien auf. Heute steht hier die aus dem 16. Jahrhundert stammende Figur der heiligen Anna selbdritt mit ihrer Tochter Maria, die das Jesuskind auf dem Arm hält. Man hat sie als offensichtlich nicht zugehörig (wie auch den auferstandenen Christus) als Bekrönungsfigur des Retabels abgenommen und an anderer Stelle aufgestellt.
Wandmalereien
Sehr bemerkenswert sind die Reste von Wandmalereien, die unter der Wandfarbe entdeckt wurden. Im Kirchenschiff finden sich an den Wänden mehrere Weihekreuze. Diese von einem Kreis umschlossenen und aus gebogenen Linien gebildeten Zeugnisse der Kirchenweihe sind meist in roter Farbe gehalten. Der Kreis symbolisiert Vollkommenheit und Unendlichkeit, die rote Farbe steht für das Blut Christi. In Kirchen aus romanischer und gotischer Zeit finden sich meist zwölf dieser Kreuze, ein Hinweis auf die zwölf Apostel. Hier wurden diese Ornamente – auch die stilisierten Lilienmotive – in den Putz geritzt und ausgemalt. Nach der Reformation wurden Weihekreuze in der Regel übertüncht. An der Chornordseite legte man eine weitere Wandmalerei mit einem Schachbrettmuster frei. Unter der Wandfarbe befinden sich noch sehr alte Reste einfacher Bemalung in Form eines Weinstocks, die bei den Restaurierungsarbeiten von 1980 freigelegt wurden, aber 1983 nach ihrer Konservierung wieder unter Wandfarbe verschwanden. Diese Wandmalereien werden von Experten auf das Ende des 13. Jahrhunderts datiert.
Innenaustattung
Auch das Mobiliar aus der Renaissance ist von hohem Wert: Auf der rechten Seite des Chors befindet sich die 1983 restaurierte Patronatsbank aus dem Jahre 1580, auf deren Stirnwand die Wappen der mit der Familie von Hake verwandten märkischen Familien gemalt sind. Die von Hake, seit 1435 Lehnsherren von Stahnsdorf, nutzten die Stahnsdorfer Kirche als Patronatskirche so lange, bis ihre eigene, die Kleinmachnower Dorfkirche, 1598 errichtet war. Die aufwändig bemalte Rückwand der Patronatsbank im Stil der Renaissance wurde später unter die Empore versetzt. Im Kirchenschiff befindet sich außerdem noch die oben genannte Figur des auferstandenen Christus, ursprünglich mit Siegesfahne, aus dem Ende des 15. Jahrhunderts und die Kanzel in einfachem Bauernbarock.