Dorfkirche Lübnitz

Dorfkirche Lübnitz. Staffelung von Südost.
Dorfkirche Lübnitz. Staffelung der Bauteile von Südost.

Nur 5 km von Belzig entfernt liegt das Straßendorf Lübnitz, dessen Name, abgeleitet von “lieb”, zu den “werbenden” Ortsnamen (wie Liebenwalde, Liebenberg) gehört, mit denen man in der Besiedlungsphase weitere Kolonisten anlocken wollte. Hier steht eine sehr schöne Kirche, die sich auf den ersten Blick als gestaffelte, vierteilige Anlage präsentiert. Das mithilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz renovierte Bauwerk macht aus verschiedenen Gründen einen hervorragenden Eindruck: Ein Schild „Offene Kirche“ lädt zum Betreten ein, überall sind wetterfeste, reich bebilderte Informationstafeln mit detaillierten Texten aufgestellt und alle Räume im Inneren wie Turm, Patronatsloge und Sakristei/Gruft sind frei zugänglich. 

Baugeschichte

Die nur außen bearbeiteten Feldsteine, angeordnet in durchlaufenden Lagen, die sich fast bis zur Dachtraufe um alle Teile der Kirche herumziehen, erwecken den Eindruck eines anfangs des 13. Jh. in einem Zuge errichteten, vierteiligen Baus mit Westriegel, Schiff, Chor und Apsis.

Dorfkirche Lübnitz. Die unteren feldsteinlagen ziehen ungestört vom Schiff zum heutigen Turm durch.
Identische Feldsteinlagen an Schiff und Turm

Genaueres Hinschauen ergibt jedoch ein anderes Ergebnis: Ursprünglich entsprach die Kirche dem im Fläming weit verbreiteten dreiteiligen Typus mit Apsis, Chor und Schiff mit aufgesetztem Dachreiter. Im unregelmäßigen Mauerwerk der Westfassade zeichnen sich noch deutlich die Umrisse des ursprünglichen Westgiebels und Dachreiters vom Typ Dangelsdorf ab.

Westfassade
Westriegel mit Spuren der originalen Fassade mit Dachreiter
Westfassade mit farbiger Kennzeichnung der Bauphasen des Westturms.
Farbige Kennzeichnung der Bauphasen des Westturms (A. Soujon):
1. (blau) Umfassungsmauer Anfang 1200, ohne Westportal.
2. (rot) Giebel mit Dachreiter (Typ Dangelsdorf). Kurz darauf.
3. (unkoloriert) Aufbau des Westriegels aus kaum behauenen und lagig angeordneten Steinen. Hoher Putzanteil. 14./15. Jh.

Erst etwa 250 Jahre später, in der Gotik, wurde der bereits fertiggestellten Anlage ein Westturm von Schiffsbreite aufgesetzt, was sowohl die Verkürzung des Schiffes als auch die Vermauerung des jeweils ersten Fensters im Norden und Süden zur Folge hatte.

Zugesetztes romanisches Fenster in der Südwand des Schiffs, heute geteilt durch den Übergang vom Schiff zum Turm
Durch die Turmostwand zugesetztes romanisches Fenster in der Südwand des Schiffs.
Übergang von Schiff zu Turm, Nordseite. Analog zur Südseite findet sich ein zugesetztes romanisches Fenster am Übergangsbereich. Die Gemeindepforte ist zugesetzt.
Dieselbe Situation auf der Nordseite und zugesetztes Gemeindeportal

Die nachträgliche Einfügung des Turms ins Kirchenschiff wird im Innern des Turmraumes deutlich: Die unbearbeiteten Feldsteine des Turms ruhen auf dem Ziegelboden des Schiffs und sind nicht mit dessen Nord- und Südmauer verzahnt, wie das bei einem von Anfang an geplanten Westriegel der Fall gewesen wäre.

Kontakt der eingezogenen Trennmauer von Schiff und Turm zur romanischen Südwand des Schiffes (rechts). Deutlich erkennbar sind die unbehauenen Feldsteine der Turmmauer und die unverfüllte Fuge zur Schiffswand.
Ostwand des Turms aus unbehauenen Feldsteinen ohne Verbindung mit der Schiffswand.
Durchgang vom Schiff zum Turm. Deutlich sichtbar ist die Stärke der später aus unbehauenen feldsteinen eingefügten Mauer. Sie setzt auf die originalen Ziegel auf.
Durchgang vom Turm zum Schiff. Dicke Turmwand aus kaum behauenen Feldsteinen, die auf dem originalen Ziegelfußboden aufliegt.

Anbau

Ebenfalls zur Zeit der Gotik, wohl zeitgleich mit dem Turm, baute man an der Nordseite des Chors eine tonnengewölbte Sakristei an, die man durch eine schmale, in die Chorwand gebrochene Pforte betrat.

Dorfkirche Lübnitz. Ansicht von Nordost mit Sakristei.
Nordostansicht mit Sakristei/Gruft und zugesetzter Tür.

Später wurde diese Sakristei zur Gruftkapelle der Patronatsfamilie v. Lochow umfunktioniert und konnte nach Vermauerung der Tür zum Chor nur noch von außen betreten werden. Eine, inzwischen ebenfalls zugesetzte korbbogige Osttür mit Ziegeleinfassung zeugt davon. Jetzt ist die Tür zum Chor (in ziemlich roher Form) wieder aufgebrochen und man kann in die Gruft hineinsehen, in der Sargbeschläge und -bretter aus mehreren Jahrhunderten aufbewahrt werden.

Fenster und "organisch" gestalteter Eingang zur Sakristei.
Fenster von 1208 und aufgebrochener Eingang zur Gruft.
Grabrelikte aus der Gruft derer von Lochow.

Sensationelle Datierung

Durch die jahrhundertelange Abgeschiedenheit dieses Raums blieb unter seinem Dach ein originales Chorfenster erhalten. Die dendrochronologische Untersuchung seines Holzrahmens ergab ein Einbaudatum von 1208 (+-10 Jahre), ein höchst wichtiger Befund für die Datierung aller Kirchen im Fläming. Bei der letzten Renovierung hat man das zum Chor hin vermauerte Fenster wieder freigelegt und präsentiert es (zusammen mit einem zweiten, noch zugesetzten) in der Nordwand des Chors.

Nordwand des Chors mit zwei romanischen Fenstern zur Sakristei und einer neuzeitlich eingebrochenen Pforte.
Chornordwand mit den zwei romanischen Fenstern und Pforte.
Romanisches Fenster zur Sakristei. Der hölzerne Bogen wurde dendrochronologisch auf die Zeit um 1208 datiert.
Hölzerner Rahmen des romanischen Fensters von 1208.

Veränderungen

Die Tür- und die meisten Fensteröffnungen wurden – wie üblich – in der Barockzeit verändert, nämlich vergrößert und mit Putzfaschen versehen. Lediglich das nördliche Gemeindeportal und die erwähnten Fenster blieben, zwar vermauert, aber in der originalen Form, erhalten und die Fenster der Apsis haben die alten Größenverhältnisse bewahrt.

Dorfkirche Lübnitz, Ansicht von Osten auf die Apsis mit originalen, aber mit Betonfaschen versehenen Fenstern, Chorgiebel und Sakristei.
Ostansicht auf Apsis, Chorgiebel und Sakristei/Gruft mit zugesetzter Tür.

Die gesamte Dachzone ist mit Ziegeln in mehreren Lagen aufgemauert, was auf gravierende Reparaturmaßnahmen nach Brand- und Kriegsschäden schließen lässt. Der verputzte Giebel des Westriegels könnte ebenfalls zu diesen Baumaßnahmen gehören.

Gestörte Dachbereiche, Nordseite.
Zeugnisse des Neuaufbaus der Dächer aufgrund von Brand oder Zerstörung. Nordseite.

Innenraum

Das Innere des Kirchenschiffs wirkt durch die barocke Hufeisenempore mit der – vollständig erhaltenen – verglasten Patronatsloge etwas vollgestellt. Außer der Raumabfolge Schiff, Chor und Apsis hat sich aus der Entstehungszeit nur noch der romanische runde Triumphbogen erhalten. Er ist am rechten Gewände angeschrägt um Platz für die nach der Reformation hierher versetzte Kanzel zu bieten und gleichzeitig den Blick von der Empore in den Chor zu ermöglichen.

Blick nach Osten von der Orgelempore entlang des Schiffs auf den Triumphbogen und die Apsis. Links die Patronatsloge, rechts die übliche nachreformatorische Besuchertribüne.
Blick von der Orgelempore nach Osten auf Triumphbogen und Apsis. Links die Patronatsloge, rechts die Südempore.
Blick durch den Triumphbogen nach Westen. Am Triumphbogen freigelegte Wandmalereien.
Blick durch den Triumphbogen nach Westen mit freigelegten barocken Wandmalereien.
Nordwand des Chors mit Priesterpforte. Die hölzerne Kanzel wurde um 1700 gefertigt.
Nordwand des Chors mit Priesterpforte und Kanzel von ca. 1700.

Bei den Untersuchungen zur erwähnten denkmalgerechten Restaurierung fand man an der Westwand des Kirchenschiffs und in der Apsis unter der Tünche mittelalterliche Weihekreuze. Aus der Renaissance kamen gelbe Linien zur Betonung von Architekturdetails ans Licht und aus dem Barock Reste der Ausmalung mit Wandfresken. All dies wurde wieder sichtbar gemacht, restauriert und ergänzt. Auch die barocke Einrichtung der Kirche mit Hufeisenempore, Gestühl, Patronatsloge und Kanzel wurde restauriert.

Weihekreuz an der später eingezogenen Westwand des Schiffs.
Weihekreuz an der später eingezogenen Westwand des Schiffs.
Weihekreuz an der später eingezogenen Westwand des Schiffs.
Weihekreuz an der später eingezogenen Westwand des Schiffs, hinter der Orgel.
Originale Apsisfenster und freigelegte Weihekreuze.
Originale Apsisfenster, freigelegte Weihekreuze und wieder hergestellte Fensterumrahmungen aus der Renaissance.

Höllensturz

Besonderes Interesse verdient das freigelegte Fragment des Freskos “Höllensturz der Verdammten” in der Apsis. Verzweifelt stürzen die Sünder in den Höllenschlund hinab, wo die Teufel bereits auf sie warten. Rechts vorn erkennt man deutlich (weil behutsam ergänzt) einen bocksfüßigen und -hörnigen weiblichen (!!!) Teufel mit Fledermausflügeln, der (die?) sich einen der abgestürzten Verdammten schnappt. In der Regel gehört die Darstellung des Höllensturzes zum Bildthema des Jüngsten Gerichts. Wenn sich ein solches in dieser einfachen Dorfkirche befunden haben sollte, müssen wir uns über dem Mittelfenster der Apsis einen Christus als Weltrichter und auf der freien Seite den Einzug der Seligen ins Paradies vorstellen.

Manieristische Wandmalerei ander Südwand der Apsis. Sie stellt eine Höllenszene dar.
Manieristische Wandmalerei an der Südwand der Apsis mit Darstellung des Höllensturzes.
Detail der Höllenszene.
Fantasievolle „Teufelin“.

Infobox


Adresse

Empfohlene Route

Südwestliche Route

Offizielle Website

keine


Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V.

Kirche Lübnitz