Dorfkirche Wusterwitz

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Dorfkirche Wusterwitz. Kreuzförmiger Aufbau mit Apsis, Chor, Querschiff, Langschiff und Westriegel.
Dorfkirche Wusterwitz. Kreuzförmiger Bau mit Apsis, Chor, Querschiff mit Nebenapsis, Langschiff und Westriegel.

An der Hauptstraße von Wusterwitz steht auf einer großen Wiese, dem ehemaligen Kirchhof, die beeindruckende kreuzförmige Dorfkirche. Sie scheint den Zerstörungen des 30jährigen Krieges entgangen zu sein, denn sie besitzt noch wertvolle Ausstattungsstücke aus der Gotik und Renaissance.

Urkunde zur Ostbesiedelung

Die Besiedlung des Dorfes erfolgte nicht durch Albrecht den Bären, sondern durch Wichmann, den Erzbischof von Magdeburg, was aus einer der wenigen erhaltenen Urkunden über eine Ortsgründung östlich der Elbe hervorgeht. Sie entstammt dem Archiv des Erzbistums Magdeburg, ist auf 1159 datiert und gibt wertvolle Hinweise auf die allgemeinen Umstände der Ostsiedlung:

… Ich, Wichmann habe jenes Dorf nahe der Havel, welches Wosterwice genannt wird dem Flamländer Henricus und seinen Leuten zum Lehen gegeben mit allem Zubehör, mit Äckern, mit Wäldern, mit Wiesen, Weiden und Gewässern und deren Ableitungen mit Sümpfen und Fischereien … Auch habe ich demselben Henricus vier Hufen und ein Talent dort als erbliches Lehen überlassen, eine Hufe aber habe ich einer dort mit göttlicher Hilfe zu erbauenden Kirche gleichsam zur Ausstattung gegeben …“

Die Urkunde bestätigt also einem aus Flandern stammenden Lokator namens Heinrich den Besitz des Dorfes Wusterwitz, welches er im Auftrage des Erzbischofs an „seine Leute“ verteilen möge. Die hervorgehobene Stellung des Lokators wird aus der größeren Zuteilung von Land sowie einer Zahlung von Bargeld ersichtlich. Er ist berechtigt, sein Land weiter zu vererben, was ihn in den Stand des niederen Adels erhebt. Auch die Siedler genießen eine bessere Stellung als die Bauern im Altreich: Sie besitzen alle Rechte auf ihr Land selbst („mit Äckern…und Fischereien“) und müssen sich nicht mit Grundbesitzern, Adligen und Klerikern um Sonderkonditionen auseinandersetzen. Ebenfalls wird ersichtlich, dass die Etablierung einer Pfarrgemeinde mit zum Siedlungsplan gehörte, denn ein Anteil am Grundbesitz dient zur Ausstattung der Kirche (und der Unterhaltung der Pfarrstelle).

Beginn der Bauarbeiten

Das Austellungsjahr 1159 dieses Dokuments impliziert nicht gleich den Baubeginn der Kirche. Die Bewohner hatten in der Besiedlungsphase gar nicht die Zeit für einen aufwändigen Kirchenbau. Wie einige archäologische Befunde von Vorgängerbauten aus Holz unter steinernen Dorfkirchen bezeugen, wurde wohl zuerst ein provisorisches hölzernes Kirchengebäude errichtet. Dieses riss man dann – nach Beginn eines Steinbaus ein oder zwei Generationen später – Stück für Stück ab. Unter Berücksichtigung dieser Fakten kann man den Bau der Wusterwitzer Kirche im letzten Viertel des 12. Jh. ansetzen, was durch eine dendrochronologische Untersuchung von im Dach verbauten Hölzern bestätigt wird. Das Fälldatum der dafür verwendeten Bäume liegt zwischen 1180 und 1190.

Bauliche Besonderheiten

Der Bau weist mehrere Besonderheiten auf: Er ist für eine Dorfkirche unverhältnismäßig groß und auf kreuzförmigem Grundriss errichtet. Beim Vergleich mit den anderen drei Bauten dieser Art (in Belzig, Wiesenburg, Ziesar) wird deutlich, dass solch aufwändige Kirchen für größere Orte vorgesehen waren, die sich einmal zu Städten entwickeln sollten. Wusterwitz lag ursprünglich an der Straße von Magdeburg nach Brandenburg, eine Tagesetappe von letzterem entfernt, weshalb man annehmen kann, dass der Gründer wegen dieser bevorzugten Lage optimistisch in die Zukunft blickte. Er konnte nicht wissen, dass diese Straße später einmal nach Norden verlegt werden und Wusterwitz dann abseits der Verkehrsroute liegen würde.

Dorfkirche Wusterwitz. Anlage von Nodwest.
Ansicht von Nordwesten

Die Kirche von Wusterwitz hat die Form eines Kreuzes mit rechteckigem, gegenüber dem Schiff leicht eingezogenem Chor, einer halbkreisförmigen Apsis und zwei Nebenapsiden an den Querschiffarmen. Auf beiden Giebeln des Querschiffs befindet sich ein halbkreisförmiger Blendbogen mit eingelassenem Kreuz, der mit einem Band aus Ziegeln abgesetzt ist, darüber drei kleine Okuli.  Im Westen steht ein niedriger, in der Breite über das Schiff vorspringender Turm (analog zu den beiden, allerdings hoch aufragenden in Wiesenburg und Ziesar). Er wurde höchst wahrscheinlich nie vollendet und erhielt im Barock einen Mittelturm aus Fachwerk. Entsprechend der frühen Bauzeit besteht das Baumaterial aus ungequaderten, nur auf einer Seite bearbeiteten Feldsteinen. Die Erbauer bemühten sich allerdings darum, möglichst gleich große Steine in einer Reihe zu verbauen, wodurch der Eindruck eines lagigen Mauerwerks entsteht.

Die romanischen Fenster wurden nach der Reformation – wie üblich – vergrößert und erhielten Korbbögen, jedoch blieben einige original erhalten, wie die zwei Apsisfenster und je eins in der Nord- und Südwand des Chors. Im Gegensatz zur geläufigen Vergrößerung wurden die Fenster der Nebenapsiden mithilfe von Backsteinen verkleinert. Der Bau besaß drei Portale, von denen das vertikale Gewände noch romanisch ist, die Backsteinbögen aber wohl aus späterer Zeit stammen; im Süden existiert auch noch die originale, allerdings vermauerte Priesterpforte. Das Westportal ist einmal abgetreppt, den beiden südlichen Eingängen im Schiff und Querschiff fehlt dieses Merkmal. Das Gemeindeportal im Schiff ist jetzt zur Hälfte zugesetzt und dient nur noch als Fenster zur Belichtung des Erdgeschosses der Kirche.

Dorfkirche Wusterwitz Westriegel
Westriegel
Dorfkirche Wusterwitz Westportal
Westportal mit originalem Gewände und Rundbogen in Backsteinbauweise.
Südseite des Querschiffs mit Schmuckelementen aus Backstein.
Südseite des Querschiffs mit halbkreisförmigem Blendbogen
Pforte in der Südseite des Querschiffs.
Gemeindeporal auf der Südseite des Querschiffs.
Dorfkirche Wusterwitz Nebenapsis und Priesterpforte Südseite. Schmuckelemente aus Backstein.
Nebenapsis und Priesterpforte an derSüdseite des Chors. Ausbesserungen in Backstein.
Dorfkirche Wusterwitz Hauptapsis
Hauptapsis mit zwei originalen und beseitigtem Mittelfenster (erkennbar an der Störung des Mauerwerks).
Blick von Südost auf Apsis, Chor, Querschiff und Nebenapsis
Blick von Südost auf Apsis, Chor, Querschiff und Nebenapsis
Blick von Nordost auf Apsis, Chor, Querschiff und Nebenapsis
Blick von Nordost auf Apsis, Chor, Querschiff und Nebenapsis

Inneres

Im Turmraum ist die Grabplatte Christof v. Britzkes († 1610) aufgestellt. Er war Amtshauptmann zu Halberstadt und gehört der Familie an, die für Jahrhunderte das Patronat der Wusterwitzer Kirche inne hatte. Im Glockenstuhl hängen 3 Bronzeglocken, von denen die älteste mit reichhaltigem Reliefschmuck um ca. 1350 von Meister Johannes von Halberstadt gegossen wurde. Dendrochronologische Untersuchungen ergaben, dass der Glockenstuhl zum Teil aus dem 12. Jahrhundert stammt.

Dorfkirche Wusterwitz. Blick nach Osten auf den Triumphbogen, Chor und Apsis
Blick nach Osten auf den Triumphbogen, Chor und Apsis

Bemerkenswert im Innern (weil in Brandenburg ziemlich einmalig) ist die flache Decke mit gut erhaltener spätgotischer Bemalung (besonders im Chorraum) aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Das auf einem Querbalken im Triumphbogen stehende Kruzifix ist modern und wurde anlässlich der umfassenden Renovierung und Ausmalung der Kirche anfangs des 20. Jh. von der Patronatsfamilie gestiftet. Zu dieser Zeit entstanden auch die Bleiglasfenster und die Orgel auf der Westempore. Die Renaissance-Kanzel im Schiff und die aus gleicher Zeit stammende Empore im Querschiff (vielleicht eine Patronatsloge) gehen ebenfalls auf die Familie v. Britzke zurück.

Zwischen 2004 und 2012 restaurierte man die Kirche erneut, wobei die zwischenzeitlich übertünchte Schablonenmalerei von 1905 vereinfacht wieder hergestellt wurde. Außerdem nahm man verschiedene Veränderungen vor. Die spätgotische Taufe aus Sandstein steht jetzt in der Vierung. Da der Kirche seit Jahrhunderten ein Altar fehlt, vergab das Museum der Liebfrauenkirche in Magdeburg den spätgotischen Schnitzaltar, der bis zum Barock in der benachbarten Kirche von Gollwitz gestanden hatte, nach Wusterwitz. Er zeigt die gekrönte Mutter Gottes – umgeben von vier Heiligen – im mittleren Feld und jeweils vier Heilige in den beiden Flügeln. Dem Klappaltar fehlen vier Figuren, die man durch unbemalte Gipsabgüsse ersetzte. Durch die sehr gelungene Restaurierung hat Wusterwitz ein echtes Juwel mittelalterischer Kirchenbaukunst wiedergewonnen.

Dorfkirche Wusterwitz Chor und Apsis mit romanischen Fenstern und Chorbogen.
Chor und Apsis mit romanischen Fenstern und Chorbogen. Holzdecke aus der Renaissance.

Grundriss

Kirche Wusterwitz Grundriss
Kirche Wusterwitz Grundriss

Weitere romanische Dorfkirchen in der Umgebung

Ganz in der Nähe von Wusterwitz befinden sich in Warchau und Gollwitz zwei weitere Feldsteinkirchen aus der Zeit vor 1200. Ihr Mauerwerk weist – wie in Wusterwitz – die für die Frühphase typische unregelmäßige Bearbeitung des  Feldsteins auf. Es handelt sich um dreiteilige Anlagen mit später aufgesetztem Fachwerk-Dachreiter im Westen. Sie tragen viele Spuren lang zurückliegender Zerstörungen und Veränderungen. Zur Zeit der Gotik errichtete man z. B. in Warchau auf der Nordseite ein stattliches Gemeindeportal und mauerte das urprüngliche westliche zu, auch die Fenster wurden überformt – alles in Backstein. Der Fachwerk-Chorgiebel von Gollwitz deutet auf einen Wiederaufbau nach Einsturz und leider sind alle Fensteröffnungen stark entstellend verändert worden. Aber das Gemeindeportal ist original und die Priesterpforte vermauert erhalten geblieben, auch finden sich in der Apsis Spuren romanischer Fenster. Leider ist der aktuelle Zustand der idyllisch auf den ummauerten Kirchhöfen gelegenen, schönen Bauwerke desolat, weil die geschrumpften Gemeinden mit der baulichen Unterhaltung überfordert sind. Immerhin haben sich bereits Fördervereine dieser wertvollen Kulturdenkmäler angenommen, aber bedauerlicher Weise fehlt ein öffentliches Bewusstsein für die Bedeutung und den Wert der spätromanischen Kirchenarchitektur Brandenburgs.

Dorfkirche Warchau. Ansicht von Nordwest.
Dorfkirche Warchau. Ansicht von Nordwest.
Dorfkirche Gollwitz. Ansicht von Südost.
Dorfkirche Gollwitz. Ansicht von Südost.

Infobox


Adresse

Empfohlene Route

Westliche Route

Offizielle Website

Evangelischer Kirchenkreis Elbe-Fläming