Ziesar
Trotz des slawischen Namens handelt es sich bei der Stadt Ziesar um eine deutsche Neugründung (allerdings nahe eines slawischen Burgwalls). Das wird aus dem rasterförmigen Ortsgrundriss und der Anlage der Stadtkirche St. Crucis deutlich, die beide die Merkmale des deutschen Landesausbaus in der terra slavica aufweisen. Laut Überlieferung wurden die Slawen nicht vertrieben, sondern lebten in einem „Kietz“ im heutigen Petriviertel.
In der Ortsmitte, aber etwas abseits von der Hauptstraße, liegt St. Crucis, die Stadtkirche von Ziesar. Wie die Stadtkirchen in den anderen beiden Burgorten Belzig und Wiesenburg und die Dorfkirche Wusterwitz ist sie einschiffig, aber auf kreuzförmigem Grundriss. Dieser nur vier Mal vorkommende Bauplan stellt in Brandenburg eine Besonderheit dar, es scheint, als wäre er für Siedlungen vorbehalten, die von Anfang an nach dem Stadtrecht strebten.
Die Anlage
Schon von weitem fällt die imposante Anlage durch ihren besonders hochragenden Westriegel auf. Sein Mauerwerk zeigt mehrere Bauphasen, in der ersten scheint er nur die Höhe des Schiffs erreicht zu haben. Die nach oben hin „unordentlicher“ werdende Quaderung kehrt im Glockengeschoss zur Akkuratesse des Erdgeschosses zurück, was eigentümlich erscheint, wie auch die zweibogigen Schallöffnungen mit eingestellter Mittelsäule. Das lange Schiff und das breit ausladende Querschiff mit den beiden Nebenapsiden, sowie der Chor und die Apsis mit ihren gotischen Fenstern unterstreichen die Monumentalität des Ganzen. Besonders in den unteren Lagen weist das Gebäude eine saubere Quaderung und eine lagige Anordnung der Steine auf, die auf ein Baudatum um 1200 hindeuten. Außer an der Apsis finden sich nur rundbogige Fenster, was der Kirche ein erstaunlich „stilreines“ Erscheinungsbild verleiht.
Unstimmigkeiten
Beim Umrunden des Gebäudes und genaueren Betrachten fallen weitere Unstimmigkeiten auf: So umzieht ein aus Ziegeln gemauerter Kreuzbogenfries die gesamte Kirche unterhalb der Dachtraufe. Im Bereich der Backsteinromanik ist das ein gewohntes Schmuckelement, an Feldsteinkirchen kommt es aber nirgendwo vor. In den Südgiebel des Querschiffs sind romanische Schmuckelemente aus Sandstein eingelassen und in den doppelbogigen Klangarkaden des Turmes stehen ebenfalls Sandsteinsäulen. Dieses Baumaterial hätte man über mehr als 100 km von jenseits der Elbe herbeischaffen müssen. Und da das Hauptkennzeichen der brandenburgischen Feldsteinkirchen die absolute Schmucklosigkeit ist, entstehen Zweifel an der Echtheit dieser Ornamente.
Neoromanische Veränderungen
Tatsächlich entstammt alles einer 1860-62 vorgenommenen purifizierenden Restaurierung der Kirche durch den Architekten Werner, dem wir in der Dorfkirche Boecke nochmals begegnen werden. Er vergrößerte bei dieser Gelegenheit die Fenster im romanischen Stil und griff damit erheblich in das mittelalterliche Gefüge des Mauerwerks ein. Angesichts des relativ frühen Zeitpunkts seiner Restaurierung muss es sich bei ihm um einen Pionier der Neo-Romanik gehandelt haben, denn diese wird erst ab den 1890er Jahren ein Kennzeichen des neu gegründeten Deutschen Reichs.
Die verfälschenden Eingriffe erschweren die stilistische Einordnung der Kirche, zumal sie sich auch aufs Innere des Gebäudes erstrecken. Am besten wirkt das Gebäude von Westen, wo trotz Turmaufstockung und Vorhalle mit zwei pseudo-romanischen Säulchen ein ziemlich authentischer Eindruck entsteht. Der mächtige Westturm offenbart durch einen waagerechten Absatz, dass er noch im Mittelalter um mehr als ein Drittel aufgestockt wurde, bevor Architekt Werner das Glockengeschoss aufsetzte. In das Mauerwerk des Querschiffs vom Anfang des 13. Jahrhunderts setzte man in der Gotik ein Spitzbogenportal aus Backstein ein.
Auch am Chor sieht man deutliche Spuren spätmittelalterlicher Veränderungen: Oberhalb eines Sockels von regelmäßigen, kleinen Quadern aus der Gründungszeit sind klobige ungequaderte Feldsteine unregelmäßig verbaut. In der Apsis befinden sich oberhalb des identischen Sockels drei in Ziegeln ausgeführte spitzbogige Fenster, das mittlere davon vermauert. Der ganze Befund weist auf eine schwere Beschädigung von Chor und Apsis und eine nachlässige Reparatur zur Zeit der späten Gotik hin.
Inneres
Das Innere wirkt klassizistisch-kühl mit seinen Holz-Tonnengewölben und der neoromanischen Ausstattung wie Radleuchter und Querschiffemporen. Durch das Fehlen eines Bogens vor dem Querschiff ergibt sich eine nur unvollkommene Vierung mit Triumphbogen und den beiden Querschiffbögen. Sehr schön ist der 1383 gefertigte hochgotische Grabstein zweier Ritter von Kothe mit einer Ritzzeichnung der Verstorbenen in Ritterrüstung. Er diente viele Jahre als Altartisch und ist jetzt im südlichen Querschiff aufgestellt.
Kloster
Vor der Kirche befindet sich das erstmals 1226 belegte Franziskanerkloster, das die bereits zuvor erbaute Kirche mitbenutzte. Die Mönche zogen jedoch schon nach wenigen Jahren nach Brandenburg an der Havel um. Etwa 1330 kamen dann Franziskanerinnen und erbauten das jetzt noch bestehende Gebäude im Westen der Kirche. Auch sie benutzten St. Crucis als Klosterkirche und nahmen am Gottesdienst auf der Nonnenempore im Westen des Gebäudes teil, die durch einen Gang oberhalb der heutigen Vorhalle mit dem Kloster verbunden war. Nach der Reformation wurden Mönchs- und Nonnenorden aufgelöst und die meisten Klostergebäude verschwanden.