Dorfkirche Marienfelde

Dorfkirche Marienfelde von Nordwest aufgenommen
Die Dorfkirche auf dem Anger von Marienfelde (aufgenommen von NW)

Berlins alte Dorfkirchen

Auch die verhältnismäßig junge Großstadt Berlin besitzt mehrere spätromanische Gebäude, die aufgrund von Eingemeindungen bei der Schaffung von Groß-Berlin seit 1920 zum Stadtgebiet gehören. Es handelt sich durchweg um Dorfkirchen, die wir unter „Exkursionen“ in den zwei Kapiteln „Berlins Dorfkirchen Süd und Nord“ in dieser Publikation vorstellen. Aufgrund ihrer überaus qualitätvollen Ausführung und des einmaligen Ambientes bietet sich die Dorfkirche von Marienfelde als Etappe auf der Route der Romanik in Berlin und Brandenburg vordringlich an, jedoch steht ihr diejenige von Mariendorf fast ebenbürtig zur Seite. Beide Dörfer gehörten während ihrer Entstehungszeit zur Kommende Tempelhof, einer Niederlassung der Tempelritter, die später an den Johanniterorden übertragen wurde. Ebenfalls unter „Exkursionen“ findet sich im Kapitel „Im Lande der Tempelritter“ alles über die Komtureien der Templer in Brandenburg.

Marienfelder Anger

Marienfelder Dorfanger
Der Marienfelder Dorfanger

Die Marienfelder Kirche erhebt sich in für eine Großstadt unvergleichlicher Lage auf dem stimmungsvollen, vom Durchgangsverkehr abgeschirmten Dorfanger. Diese Platzanlage ist noch in voller Größe erhalten, mit Kirch- und Schmiedeteich und einigen stattlichen Bauernhäusern des 19. Jh. Im Südosten des Angers liegt das Gutshaus, das der Ökonom Adolf Kiepert Mitte des 19.Jh. repräsentativ ausbauen ließ, als Marienfelde nach seinen und Max Eyths Ideen zu einem landwirtschaftlichen Mustergut wurde. Die Verbesserung und Modernisierung des Agrarwesens als auch der sozialen Bedingungen der Landbevölkerung standen im Fokus der beiden Reformer. Das Resultat manifestierte sich im gewachsenen Wohlstand für alle Bürger, ablesbar an der gediegenen Bebauung des Dorfplatzes. Auf dem Gutsgelände befindet sich heute in schöner Kontinuität das Bundesinstitut für Risikobewertung, das die Qualität von Lebensmitteln sowie ihrer Produktion erforscht und überwacht.

Vierteilige Anlage, von Nordost aufgenommen
Staffelung der vier Teile Apsis, Chor (mit Anbau), Schiff und Turm, aufgenommen von NO

Klassische vierteilige Anlage

600 Jahre vor den heutigen Gebäuden am Anger entstand bereits die Dorfkirche. Stilistisch gleicht ihr Aufbau dem der ältesten märkischen Kirchenbauten: Vierteilig mit Querturm, Schiff in der Breite des Turms, eingezogenem Chor und ebenfalls eingezogener Apsis. Das Feldsteinmauerwerk und insbesondere die Gebäudekanten sind akkurat gefügt und alle originalen (allerdings vermauerten) Fenster sowie die Türöffnungen zeigen rundbogige Formen. Die aktuellen großen Fenster gehören zu den Umbauten des 17. bis 19. Jh., bei denen fast alle aus dem katholischen Mittelalter stammenden Kirchen den Bedürfnissen der protestantischen Liturgie angepasst wurden.

Dorfkirche Marienfelde Qualitätvolle Ausführung des Mauerwerks
Qualitätvolle Ausführung des Mauerwerks

Aufgrund der sauber behauenen Feldsteine und der ausschließlich verwendeten Rundbögen müsste man das Gebäude eigentlich ins erste Drittel des 13. Jh. (um 1220) datieren, aber hier in Marienfelde gibt es Befunde, die auf ein späteres Entstehungsdatum hinweisen. Die dendrochronologische Untersuchung eines der Dachbalken ergab zwar ein Fälldatum von 1230, aber ebenfalls erkennbare Nachbearbeitungsspuren weisen ihn als zweitverwendet aus. Da die Erstverwendung sicherlich einige Jahre bestanden haben muss, nimmt man heute ein Baudatum der Kirche von frühestens 1240 an. Diese Fakten zeigen deutlich das Dilemma der Datierung unserer Dorfkirchen: Da keine Quellen und Bauunterlagen vorliegen, ist man auf Stilvergleiche angewiesen; aber leider sind stilistisch gleiche Bauten nicht immer zeitgleich.

Turm

Der Westriegel ist (ähnlich demjenigen der Berliner Nikolaikirche) durch einen kleinen Rücksprung in mehrere Geschosse aufgeteilt, hier in zwei. Der obere Bereich verweist durch verändertes Baumaterial und nachlässigere Ausführung auf eine etwas spätere Bauzeit, ein weiteres Indiz dafür, dass in Brandenburg Türme generell zur letzten Bauphase einer Dorfkirche gehörten. Die Klangarkaden des Glockengeschosses und das Westportal blieben als einzige Öffnungen original erhalten.

Westriegel
Dorfkirche Marienfelde, Westriegel mit neoromanischer Vorhalle und Rücksprung unter der Uhr.

Rundgang

Ein Rundgang um das Gebäude bestätigt die spätere Veränderung der originalen Fenster und Türen: Über den vergrößerten Fensterdurchbrüchen des Schiffes kann man noch die vermauerten Umrisse der drei romanischen Rundbogenfenster erkennen, während die nördliche und südliche Gemeindepforte zur Hälfte zugesetzt sind und jetzt nur noch als zusätzliche Lichtquelle für das Erdgeschoss dienen. Aus ihrer geringen Höhe ist ersichtlich, dass sich das Bodenniveau des Dorfangers um fast einen Meter erhöht hat. Ein Blick durch das Fenster offenbart, dass der Fußboden innen niedriger ist als draußen.

Südwand des Schiffes. Über den Barockfenstern befinden sich die Reste der romanischen Fenster (farbig gekennzeichnet durch A. Soujon)
Südwand des Schiffes. Über den Barockfenstern befinden sich die Reste der romanischen Fenster (farbig gekennzeichnet durch A. Soujon).
Nordwand des Schiffes. Über den Barockfenstern befinden sich die Reste der romanischen Fenster (farbig gekennzeichnet durch A. Soujon). Die Gemeindepforte dient als Fenster.
Identische Situation im Norden mit halb vermauertem, im Boden „versunkenen“ Gemeindeportal, jetzt Fenster. (Farbvisualisierung A. Soujon)
„versunkenes“ Gemeindeportal
Das südliche „versunkene“ Gemeindeportal neben der Grabstätte Kiepert

Auch der Chor weist die vergrößerten Fenster auf; die Spuren von zwei romanischen Bögen sind im Süden oberhalb ihres Korbbogens noch sichtbar.

Südwand des Chors mit Sakristeianbau. Die Reste der romanischen Fenster sind farbig gekennzeichnet (A.Soujon)
Südwand des Chors mit gotischem Sakristeianbau. Die Reste der romanischen Fenster sind farbig gekennzeichnet (A.Soujon)

An den Außenwänden des Chors befinden sich auf beiden Seiten mittelalterliche Anbauten: Auf dem niedrigen im Norden stand von 1835 bis zu ihrem Abriss 1954 die Patronatsloge, für die man die Chorwand aufbrechen musste. Nach dem Rückbau auf den mittelalterlichen Bestand dient das Gebäude jetzt als Heizraum. In seinem Innern ist noch die rundbogige romanische Priesterpforte erhalten, weshalb man es auch als die ursprüngliche Sakristei ansehen könnte. Im Süden entstand im 14. Jh. ein kreuzgewölbter Bau, heute als Sakristei bezeichnet, dessen Fassade drei Spitzbogenblenden aufweist und der über einen Wanddurchbruch einen Aufgang zur Kanzel erhalten hat. 1894 vergrößerte man die Apsisfenster, wobei sie die entstellenden Ziegelgewände erhielten.

Älteste Kirche Berlins?

Drei Stufen, die jeweils 250 Jahre repräsentieren, führen in der neoromanischen Vorhalle vom Bodenniveau des 21. Jh. hinab ins Mittelalter. Der in Marienfelde wohnende, berühmte Jugendstilarchitekt Bruno Möhring setzte sie bei der Renovierung von 1921 überflüssiger Weise vor den schönen Westturm und ließ sie mit der falschen Jahreszahl 1192 versehen, die zu der irrigen Annahme beitrug, Marienfelde sei die älteste Kirche Berlins. Es handelte sich dabei aber nur um einen kleinen Scherz des Architekten, denn die Zahl war weiter nichts als ein Anagramm des Umbaujahres. Mittlerweile wurde sie durch ein Kreuz ersetzt, das Ähnlichkeit mit dem Templerkreuz haben soll. Möhring war auch für weitere Umbauten der Kirche und die Ausmalung verantwortlich, die jedoch nach dem Kriege wieder entfernt wurde.

Vorbau mit Westportal und 3 Stufen abwärts
Neue Vorhalle und 3 Stufen abwärts das originale Westportal.
Dorfkirche Marienfelde Turmhalle mit Westportal und 3 Stufen abwärts
Turmhalle, Westportal und Blick nach draußen, 3 Stufen aufwärts.

Inneres

Man betritt die Dorfkirche von Westen durch das originale, einmal abgetreppte Rundbogenportal, dessen Gewändesteine eine schöne Symmetrie aufweisen.

Abgetrepptes Westportal
Abgetrepptes Westportal mit symmetrischer Anordnung des Gewändes

Der Turmraum öffnet sich zum Schiff mit einem weiten und hohen Rundbogen, an dem man die erstaunliche Mauerdicke des Turms ablesen kann. Die Monumentalität des romanischen Bogens hat Möhring durch den Einbau eines quasi Portals mit einem Jugendstilrelief verdorben.

Dorfkirche Marienfelde. Monumentaler Bogen des Turmraums mit Jugenstileinbau
Monumentaler Bogen des Turmraums mit Jugenstileinbau
Chor und Apsis, Portal zur Sakristei
Chor und Apsis, Portal zur Sakristei
Schiff, Triumphbogen, Chor und Apsis
Schiff, Triumphbogen, Chor und Apsis. Reste des originalen Fußbodenbelags

Das Innere der Kirche ist neuzeitlich gewölbt, das Schiff durch eine Holztonne, der Chor durch ein Steingewölbe, das jedoch einen mittelalterlichen Vorgänger hatte, von dem man Spuren im Dachbereich fand. Die beiden (jetzt als Fenster dienenden) Gemeindeportale erheben sich im Innern des Schiffs auf ihre volle Höhe. Der Fußboden weist noch Reste des mittelalterlichen Platten- und Ziegelbelags auf und in der Nordwand des Chors findet man die verschließbare mittelalterliche Sakramentsnische zur Aufbewahrung der Hostien. Die wenigen Austattungsstücke entstammen erst der Neuzeit. Ein Altarbild von 1550 aus Marienfelde befindet sich jetzt als Leihgabe in der ebenfalls spätromanischen Dorfkirche von Berlin Lankwitz.

Vorgängerbau?

Interessante Entdeckungen wurden bei Grabungen unter der Kirche gemacht: Es fanden sich christliche Bestattungen aus dem frühen 13. Jh. und Spuren von Holzpfosten. Diese lassen auf einen hölzernen Vorgängerbau anstelle der jetzigen Kirche schließen, zu dem auch die aufgefundene Begräbnisstätte gehört haben muss. (Im Turm existiert ein archäologisches Fenster zu einem dieser Gräber). Der steinerne Neubau wurde wohl um den hölzernen Altbau herumgebaut um während der Bauphase weiterhin Gottesdienste abhalten zu können. Durch den archäologischen Nachweis dieses Vorgängerbaus kann man die Kirche von Marienfelde nun doch unter die ältesten der Mark einreihen.

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